Sonntag, 30. November 2008

Royal-Fruit – ganz und gar nicht „königliche“ Arbeitsbedingungen in Andalusien

Sevilla, Freitag der 28.11.08, 11 Uhr: Wir besetzen mit ca. 100 LandarbeiterInnen das Hauptbüro der landwirtschaftlichen Exportfirma „asociafruit“. Ich sitze an einem Schreibtisch im Empfangsraum und hab mir einen Bleistift aus der Lade geklaut um das hier niederzuschreiben. Die Stimmung ist gut, die BesetzerInnen machen es sich bequem und bereiten sich darauf vor, dass sie zumindest einige Stunden hier bleiben werden. (von Tito B.)


Alle anwesenden ArbeiterInnen sind bei dem Agrarkonzern beschäftigt – oder zumindest waren sie das bis letzte Woche; denn das Unternehmen droht nun damit, all diejenigen zu entlassen, die sich in der unabhängigen Basisgewerkschaft SOC (syndicato de obrer@s del campo – auf deutsch LandarbeiterInnen-gewerkschaft) organisieren.


Mit dem Vorwand, dass es nicht genug Arbeit gäbe, sind sie vor die Tür gesetzt worden. „Dabei gibt es genauso viel Arbeit wie letztes Jahr! Der Grund war offensichtlich, dass wir dem Unternehmen mit unseren Forderungen unangenehm geworden sind“, empört sich Antoine, ein Arbeiter um die 50, mit dem wir gleich ins Gespräch gekommen sind. Wir erklären, dass wir aus Frankreich und Österreich kommen und dass wir über die Besetzung im Radio und in unseren Zeitungen berichten können. Dass die europäische Öffentlichkeit informiert wird, tut tatsächlich Not. Antoine erklärt uns, warum: „Asocia-Fruit ist eine sehr mächtige Export-Firma. Sie verkaufen Obst und Gemüse mit der Marke `Royal-Fruit` in vielen europäischen Ländern! Wir wollen, dass die KonsumentInnen wissen, was hier läuft!“


Wir erfahren, dass der Konzern eine Vielzahl an Ländereien besitzt, nicht nur in Andalusien, sondern auch in der Nähe von Barcelona und sogar in Algerien. Auf der Plantage, auf der die hier versammelten ArbeiterInnen beschäftigt sind, werden Pfirsiche und Marillen kultiviert. Jetzt, im November, arbeiten ca. 150 Leute auf der Finca, die einige hundert Hektar umfasst. Während der Ernte, die im März beginnt, sind es bis zu 1000.


„Es gibt sehr viel Druck während der Arbeit“ berichtet Antoine. „Die Kontrolleure treiben dich immerzu an. Bei der Erntearbeit zählen sie, wie viele Kisten du angefüllt hast und wie viele Bäume du in welcher Zeit schaffst. Wir hören dann: 'Die andere Gruppe hat so und so viel geschafft. Wenn ihr morgen nicht ebenso viel erntet, fliegt ihr raus!' Diese Kontrolleure wissen, wie viel Kilo Pfirsiche oder Marillen ein Baum circa trägt. Sie zählen also die Bäume, die du geerntet hast, und so wissen sie, wie viel Kilo du gepflückt haben musst. Wenn du nicht genug hast, stehst du morgen auf der Straße. Das ist versteckte Akkordarbeit! Wir wollen arbeiten, aber wir fordern, dass es keine Akkordarbeit gibt!“


Die SOC hat gegen diese Missstände mobilisiert, während die anderen beiden Gewerkschaften, die im Betrieb präsent sind, die UGT und die CC.OO., nicht nur mit der Betriebsleitung kollaborierten, sondern sogar akzeptierten, dass eine große Polizei-Aktion gegen die Streikenden organisiert wurde. Als zu Beginn der Woche der Konflikt ausbrach, wurde zunächst die Plantage besetzt. Die ArbeiterInnen blieben über Nacht, Decken wurden organisiert, Lagerfeuer angezündet. Aber nicht alle ließen sich überzeugen, mitzumachen. Zu groß war der Druck seitens des Betriebes: „Allen, die sich uns anschließen wollten, wurde gedroht, dass sie ebenfalls entlassen würden“, erklärt Antoine. Gestern rückte dann die Polizei an – seitdem arbeiten ca. 40 LandarbeiterInnen auf der Finca, abgeschirmt von 200 PolizistInnen. Unglaublich – was an Zustände im ländlichen Kalifornien des frühen 20. Jahrhunderts erinnert, spielt sich heute mitten in der EU ab.


Angesichts dieser repressiven Maßnahmen beschloss die SOC, von der Plantage abzuziehen und stattdessen nach Sevilla zu gehen, um den Hauptsitz von „asociafruit“ zu besetzen. So kommt es, dass wir nun hier sind.

Die Szenen im Büro erinnern an den Film „Tout va bien“ von Jean-Luc Godard. In diesem Klassiker der 70er Jahre besetzt die Belegschaft eines französischen Schlachthofes ebenfalls das Büro der Betriebsleitung. Während der Besetzung kommt es zu grotesk-witzigen Szenen, die sich in diesen Minuten, im Zentrum von Sevilla, zu wiederholen scheinen: Ein Gewerkschaftsmitglied gibt ein Interview für einen spanischen Fernsehsender – der Gang ist zu eng und der Büroangestellte der besetzten Firma würde das Interview stören, wenn er jetzt aufs Klo gehen würde. Einige ArbeiterInnen halten ihn auf, er schimpft („Das ist mein Büro hier!“), aber es nützt ihm nichts. Eine andere Büroangestellte regt sich auf, weil die BesetzerInnen den Fernseher im großen Versammlungsraum angestellt haben und an den Jalousien rumwerkeln. Geschrei, Gelächter, keine Chance, dass die ArbeiterInnen auf sie hören.


Es sind etwa gleich viele Frauen wie Männer anwesend, ein Kleinkind von etwa einem Jahr ist auch im Saal. „Während des Booms am Bausektor gingen viele Männer aus der Landarbeit weg, weil die Löhne am Bau höher waren – daraufhin wurden viele Frauen auf den Plantagen beschäftigt. Nun, mit der Finanz- und Immobilienkrise, kommen viele Männer zurück in die Landwirtschaft – was zur Folge hat, dass eine große Zahl an Frauen ihre Arbeitsplätze wieder verlieren, da Männer bevorzugt werden“, erklärt uns Antoine. „Leider gibt es noch viel Machismo hier in Spanien. Eine Frau sollte das gleiche Recht auf Arbeit haben wie ein Mann!“, ergänzt er.


Wir erfahren auch, dass aufgrund der Krise schwere Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen an ArbeiterInnen drohen. SpanierInnen und ArbeitsmigrantInnen verschiedener Herkunft konkurrieren um den kargen Tagelohn der Landarbeit. „Konflikte zwischen den ArbeiterInnen - das genau ist es, was die Unternehmen wollen“ erbost sich Antoine.


In der Provinz Almeria, ca. vier Autostunden südöstlich von hier, komme es immer öfter vor, dass auf der Straße ArbeitsmigrantInnen aus afrikanischen Ländern zu sehen seien, die ihren „Preis“ auf ein Kartonschild geschrieben haben: „2 personas para 30 Euros“ - zwei Arbeitskräfte für 30 Euro. Pro Tag, versteht sich. Almeria ist für die Produktion von Treibhausgemüse unter tausenden Hektaren von Plastik für den europäischen Markt bekannt geworden. Die SOC ist auch dort aktiv – die kleine Gruppe der lokalen AktivistInnen setzt sich hauptsächlich aus Leuten zusammen, die selbst nach Spanien migriert sind und die die harte Arbeit in den Treibhäusern kennen. Sie stammen u.a. aus dem Senegal und aus Marokko und sprechen die Sprachen der LandarbeiterInnen – arabisch, französisch oder wolof.


Wir drängeln uns in das Hauptbüro, in dem ein verängstigter Mitarbeiter an seinem Schreibtisch sitzt und versucht zu verdrängen, dass er sich mitten in einer Besetzungsaktion befindet. Auf unsere Anfrage, was denn hier los sei, will er uns nicht antworten. Ebenso wenig kann er uns sagen, wann jemand kommt, der dazu befugt wäre. Er blickt in die Unterlagen, die er sich pro forma zurechtgelegt hat, um sich nicht mit uns konfrontieren zu müssen.


Die spanischen Medien, die hier im Büro anwesend sind, interessieren sich für uns, da sie erkennen, dass wir keine Beschäftigten des Betriebes sind. Wir stellen uns als „Foro Civico Europeo“, als „Europäisches BürgerInnenforum“ vor und geben ein Interview, in dem wir betonen, dass wir es empörend finden, unter welchen Bedingungen das Obst und Gemüse produziert wird, das in den europäischen Supermärkten landet. Eigentlich sind wir nach Andalusien gekommen, um unsere Freundinnen und Freunde von der SOC, die wir seit Jahren kennen und deren Arbeit wir unterstützen, auf einer ihrer selbstverwalteten Landkooperativen zu besuchen. Dass unsere Reise mit solch einer Aktion beginnen würde, damit haben wir nicht gerechnet.


Am selben Tag, ca. drei Stunden später: Die Polizei, die während der gesamten Dauer der Besetzung nur wenig zu sehen war, rückt nun mit Dutzendschaften an Spezialeinheiten an. Wir stehen kurz vor der Räumung. Von etlichen SOC-AktivistInnen wird kommuniziert, dass von unserer Seite keine Gewalt ausgehen wird. Etwa eine halbe Stunde später ist das Büro geräumt. Ob der Druck auf das Unternehmen ausgereicht hat, um die Forderungen der Streikenden zu erfüllen, können wir zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Wir hoffen, etwas zur Besetzung beigetragen zu haben und nehmen uns vor, so viel wie möglich über die Aktion zu berichten und die SOC so zu unterstützen.


Wenn ihr also das nächste Mal in den Supermarkt geht und Obst oder Gemüse mit der Aufschrift „Royal-Fruit“ seht, dann nehmt euch ein paar Minuten Zeit und denkt nach, was wir gemeinsam gegen Ausbeutung und mieses Essen tun können. Vielleicht fällt uns, inspiriert von den Aktionsformen der SOC, etwas ein!


Sonntag, 9. November 2008

Gastkommentar: Der Ökolandbau kappt seine Wurzeln

Im Bio-Landbau klaffen Theorie
und praktische Umsetzung weit auseinander

von Michael Machatschek

Die Herstellung von Lebensmitteln in der biologischen Landwirtschaft ist an
die Regeln naturschonender Landnutzungsformen gebunden. Doch der Begriff
"bio" ist weit ausleg- und interpretierbar, und die Richtlinien können
unterschiedlich gehandhabt werden. Die "ökologische" Deklaration der
Bioprodukte ist mittlerweile zum Deckmäntelchen geworden, da in der Praxis
Naturkreisläufe und die Aspekte der Regionalität des Verbrauchs, also echte Ressourcenschonung und Klimaschutz, nur ansatzweise berücksichtigt werden.

Auf dem Papier klingt der Verzicht auf synthetische Kunstdünger und Spritzmittel fantastisch. Allerdings kann man mit den hofeigenen organischen Düngern auch das Grünland kaputtwirtschaften und Böden unter dem Druck der Maschinen stark verdichten.
Die Pflanzengesellschaften bestätigen zwischen
konventioneller und ökologischer Arbeitsweise keinen Unterschied. Die Ansätze kluger Gedanken und die guten Absichten stimmen uns großteils milde.
Und wir glauben, mit dem Kauf von Bio-Nahrungsmitteln wäre unser Beitrag zur Nachhaltigkeit geleistet und unser Gewissen zu Recht beruhigt. Dem ist heftig zu widersprechen. Den ökologischen Wandel sähen wir gerne als vollzogen an. Doch ein Blick in die Landschaften und Ställe des ökologisch
orientierten Landbaus spiegelt keinen Vollzug einer ersehnten Agrarwende wider. Auch wenn mit Hecken und Biotöpchen die Landschaft zu schönen versucht wird.

Landschaften sind Visitenkarten

Von wegen nachhaltiges Wirtschaften in der Landschaft: Bei der Betrachtung von Wiesen und Weiden werden wir stutzig, wenn wir im Frühling weite Bereiche mit dem Gelb des blühenden und dominant auftretenden Löwenzahns vorfinden. Der Wiesen-Löwenzahn ist Indiz für intensive Kunststoff- oder
Biodüngerausbringung, verdichtete Böden und Grundwasserverschmutzung.

Eine gewissenvolle Debatte darüber, inwiefern die eigentlichen Ziele der ökologischen Orientierung noch gegeben sind oder nicht, ist überfällig. Denn wenn wir auf charakteristischen Untersuchungsflächen durchschnittlich zwölf Pflanzenarten finden, bestätigt dies, dass der Ökolandbau seine Ziele aus den Augen verliert. Auch bei der Orientierung an der Massenproduktion steht der Biolandbau der konventionellen Intensivlandwirtschaft keineswegs nach.
Eine Ursache dafür ist, dass Biobetriebe - mit Ausnahmen - biologisch hergestelltes Kraft- und anderes Futter ohne Obergrenze auf ihren Höfen einsetzen können. Daraus resultiert ein Überhang an organischen Düngern, welche auf den Wirtschaftsflächen "entsorgt" werden, was wiederum erkennbarist am häufigen Auftreten großblättriger Ampferarten.

Ökologisierung der Industrialisierung

Von wegen Berücksichtigung ökologischer Kreisläufe: Das aktuell vorherrschende ökonomische Denken zwingt die ökologisch orientierten Landnutzer auf eine agroindustrielle Strukturschiene. Anstatt kleine,
stabile Einheiten und ressourcen- und klimaschonende Landnutzungsformen zu fördern, gleitet auch der Ökolandbau immer mehr in die konventionellen Muster von Wachstum und Fortschritt ab. Aus ökologischer Sicht ist der Ökolandbau dem Produktionswahn mit all den Folgen der Intensivlandwirtschaft verfallen.

Konsument/-innen gehen von einem tadellosen Funktionieren einer ökologisch orientierten Landbewirtschaftung aus, weil ihnen eine heile Welt der Ökolandschaft vorgegaukelt wird. Dabei ist bis auf die Frage der Spritzmittelrückstände kaum ein Unterschied in den Qualitäten konventioneller und ökologisch erzeugter Nahrungsmittel feststellbar. Ein Unterschied - bis auf den synthetischen Chemieeinsatz - ist deshalb nicht herleitbar, da im Grunde genommen zwei annähernd gleiche Produkte und Wirtschaftsweisen verglichen werden. Bis auf wenige Ausnahmen wie etwa den biologisch-dynamischen Landbau (Demeter) stehen die sich heute dem biologischen Landbau zurechnenden Betriebe in punkto agroindustrieller Wirtschaftsideologie den konventionell wirtschaftenden nicht nach.

Dies äußert sich etwa in großen Betriebseinheiten, Massenproduktion und hohen Leistungsansprüchen, in Überdüngung und Grundwasserbelastung durchGülleüberhang, in Selbstausbeutung der Bewirtschafter, in nicht artgerechter Fütterung, Haltung und Enthornung der Tiere sowie ihrer kurzen Lebensdauer, in offenen Fragen der Tiermedizin, weiten Viehtransporten und hohem Maschineneinsatz.

Die Schweinekuh

Von wegen artgerechte Tierernährung: Alle unsere Kühe werden heute wie die Schweine gefüttert. Die Kuh hat einen Rohfaser und keinen Stärke und Eiweiß verdauenden Magen. Diese Tatsache wird auch im Biolandbau vergessen, wenn ihr in der Hauptsache Silage, zweiter und dritter eiweißreicher Aufwuchs (Grummetheu) und Kraftfutter verabreicht werden. Es wird zwar von der Heufütterung gesprochen, aber echtes und rohfaserreiches Heu des ersten Aufwuchses, zur richtigen Zeit gemäht, erhalten Kühe kaum mehr. Zudem beweiden heute die Kühe die Wiese und nicht die Weide.

Was den Bewegungsbedarf angeht, ersetzen Stallauslauf oder die Haltung im Laufstall nicht den Weidegang. Auch mit biologisch hergestellten Futtermitteln können sich unsere Nutztiere zu Tode fressen. Die Hauptursache für das Krankwerden und den Abgang der Kühe ist infolge der hohen
Futtergaben und in Ermangelung falscher Futtermittel schlicht ihre Überfressenheit und dadurch bedingt Selbstvergiftung und Kreislaufprobleme.
Auch Schafe, Ziegen und Pferde werden heute bereits wie Schweine gefüttert.

Aus dem unbegrenzten Einsatz von Futtermitteln resultieren sehr hohe Mengen organischer Dünger, obwohl der Viehbesatz pro Fläche theoretisch eingehalten wird. Aus der über Gebühr anfallenden und eingesetzten Gülle entwickelt sich arten- und kräuterarmes Grünland so weit das Auge reicht. Die Pflanzen werden mit Gülle "gemästet", damit möglichst oft und viel geerntet werden kann. Stark gemästetes Futter soll sodann gesundes Vieh und gesunde Nahrungsmittel für uns Menschen schaffen?

Bauern oder Landwirte?

Von wegen Biobauern: Ohne heimattümliche Absichten zu suggerieren sei ein Spruch des volksmündlichen Gebrauchs wiedergegeben: "Bauern brachten sich fort, Landwirte bringen sich um". Warum es heute fast keine Bauern mehr gibt, ist ein Zeichen der wirkungsvollen Agrarpropaganda von mehr Technikeinsatz und Wirtschaftlichkeit, welche die Politik über Institutionen wie Beratungsstellen oder Landwirtschaftsschulen verbreiten lässt. 1) Im Grunde genommen müssten heute übliche Biobauern demzufolge als Biolandwirte bezeichnet werden, weil sie sich um ihre Existenz bringen. Den Wert sorgsam hergestellter Lebensmittel bestimmte etwas ganz anderes, auf alle Fälle nicht die geldwertorientierte Massenproduktion und zählbare Parameter.

Das größte Manko der heutigen Zeit ist der Verlust des Hausverstandes und der Naturbeobachtung, denn wer aufmerksam wäre, hätte die Methoden der ökologischen Herstellung schon längst hinterfragt. Wir ergießen uns in Superschriften über den Biolandbau, vergessen allerdings dabei die
Überprüfung und Auswirkungen der Inhalte auf ihre praktische Bedeutsamkeit. Der Mangel an Bodenhaftung und Bio-Logik der Wissenschafter und Verbände führt zu einer Abgehobenheit ihrer Aussagen von den praktischen Ebenen, die auf die Vermutung hin, dass sie in der Praxis Bestand hätten, in Richtlinien geformt zur ökologischen Nachhaltigkeit führen sollen.

Nachhaltige Wirtschaftsweisen werden einer abstrusen Technikgläubigkeit untergeordnet und durch den erhöhten Einsatz von Agrartechnik kompensiert.
Je größer die Betriebseinheiten werden, umso eher geht das ökologisch nachhaltige Handwerks- und Erfahrungswissen wie auch der handsame Umgang mit den Nutztieren verloren und umso willfähriger werden die Landwirte, die sich Biobauern nennen. Mit der Vereinnahmung des Biolandbaus in das
konventionelle Wirtschaftssystem sind den Bauern Geschehen und Diskurs entglitten und der Dirigismus kommt von oben herab zum Durchschlag.

Missbrauch des Naturschutzes

Trotz aller Sympathie für den Biolandbau werden die derzeit bestehenden Grundvoraussetzungen des biologischen Landbaus keiner ehrlichen Auseinandersetzung unterzogen, sondern vielmehr die Konsumenten einer Propaganda mit romantischem Flair ausgeliefert. Und innerhalb der Verbände
wird die Kritik absichtsvoll übersehen. Die viel zitierte Agrarwende ist nur scheinbar in der Praxis angekommen. De facto wird sie nicht Fuß fassen können, wenn der Ökolandbau weiterhin wie die konventionelle Agrarindustrie wirtschaftet und der Realität in der Landschaft und in der Viehhaltung
lediglich das Wunschdenken einer abgehobenen Debatte gegenübersteht.

Es bleibt auch unreflektiert, dass die Agrarpolitik den Naturschutz als marktausgleichendes Steuerungsinstrument missbraucht. Ehemals ökologisch wertvolle Schutzflächen verbrachen zunehmend oder wachsen mit Gehölzen zu, weil sie durch den Käseglocken-Naturschutz regelrecht "kaputtgeschützt" wurden. Das genutzte Land indes wird scheinbar "ökologisch", aber intensiv
bewirtschaftet. Dass Trinkwasserbrunnen in diesen intensiv genutzten Landschaften geschlossen werden und Brauchwasser aus weiter Entfernung herantransportiert werden muss, bezeugt diese Verfehlungen.

Im Kompromiss werden Ökologie und die Ökobewegung ökonomisiert und zur "nachhaltigen" Perfektionierung des Wirtschaftsystems missbraucht, denn Öko ist in und wird unter Mithilfe der Sozialökologie zum Konzept erhoben. 2) Innovationen werden zur Wirtschaftsbelebung verwendet, wodurch noch mehr Wachstum und Fortschritt und eine noch effizientere Ausbeutung vorhandener
Ressourcen bewirkt werden - getragen von einem obskuren Bild von Ökologie.

Anstatt die Situationen prüfend zu hinterfragen, werden die hier vorgetragenen Beobachtungen wieder schön geredet werden und die Landschaft und die Nutztiere verharren weiterhin in Daseinsformen, die mit Ökologie nichts zu tun haben.

1) Sigmar Groeneveld: Agrarberatung und Agrarkultur, Kassel 1996
2) Joachim Radkau: Natur und Macht, München 2002

Der Autor, Jahrgang 1963, lebt als Bauer und Wanderforscher in einem
Kärntner Bergdorf und beschäftigt sich mit alten Landnutzungsweisen,
Landschafts- und Nutzpflanzenkunde. Erstabdruck des Artikels in: Politische
Ökologie 110, München 2008.