Sonntag, 9. November 2008

Gastkommentar: Der Ökolandbau kappt seine Wurzeln

Im Bio-Landbau klaffen Theorie
und praktische Umsetzung weit auseinander

von Michael Machatschek

Die Herstellung von Lebensmitteln in der biologischen Landwirtschaft ist an
die Regeln naturschonender Landnutzungsformen gebunden. Doch der Begriff
"bio" ist weit ausleg- und interpretierbar, und die Richtlinien können
unterschiedlich gehandhabt werden. Die "ökologische" Deklaration der
Bioprodukte ist mittlerweile zum Deckmäntelchen geworden, da in der Praxis
Naturkreisläufe und die Aspekte der Regionalität des Verbrauchs, also echte Ressourcenschonung und Klimaschutz, nur ansatzweise berücksichtigt werden.

Auf dem Papier klingt der Verzicht auf synthetische Kunstdünger und Spritzmittel fantastisch. Allerdings kann man mit den hofeigenen organischen Düngern auch das Grünland kaputtwirtschaften und Böden unter dem Druck der Maschinen stark verdichten.
Die Pflanzengesellschaften bestätigen zwischen
konventioneller und ökologischer Arbeitsweise keinen Unterschied. Die Ansätze kluger Gedanken und die guten Absichten stimmen uns großteils milde.
Und wir glauben, mit dem Kauf von Bio-Nahrungsmitteln wäre unser Beitrag zur Nachhaltigkeit geleistet und unser Gewissen zu Recht beruhigt. Dem ist heftig zu widersprechen. Den ökologischen Wandel sähen wir gerne als vollzogen an. Doch ein Blick in die Landschaften und Ställe des ökologisch
orientierten Landbaus spiegelt keinen Vollzug einer ersehnten Agrarwende wider. Auch wenn mit Hecken und Biotöpchen die Landschaft zu schönen versucht wird.

Landschaften sind Visitenkarten

Von wegen nachhaltiges Wirtschaften in der Landschaft: Bei der Betrachtung von Wiesen und Weiden werden wir stutzig, wenn wir im Frühling weite Bereiche mit dem Gelb des blühenden und dominant auftretenden Löwenzahns vorfinden. Der Wiesen-Löwenzahn ist Indiz für intensive Kunststoff- oder
Biodüngerausbringung, verdichtete Böden und Grundwasserverschmutzung.

Eine gewissenvolle Debatte darüber, inwiefern die eigentlichen Ziele der ökologischen Orientierung noch gegeben sind oder nicht, ist überfällig. Denn wenn wir auf charakteristischen Untersuchungsflächen durchschnittlich zwölf Pflanzenarten finden, bestätigt dies, dass der Ökolandbau seine Ziele aus den Augen verliert. Auch bei der Orientierung an der Massenproduktion steht der Biolandbau der konventionellen Intensivlandwirtschaft keineswegs nach.
Eine Ursache dafür ist, dass Biobetriebe - mit Ausnahmen - biologisch hergestelltes Kraft- und anderes Futter ohne Obergrenze auf ihren Höfen einsetzen können. Daraus resultiert ein Überhang an organischen Düngern, welche auf den Wirtschaftsflächen "entsorgt" werden, was wiederum erkennbarist am häufigen Auftreten großblättriger Ampferarten.

Ökologisierung der Industrialisierung

Von wegen Berücksichtigung ökologischer Kreisläufe: Das aktuell vorherrschende ökonomische Denken zwingt die ökologisch orientierten Landnutzer auf eine agroindustrielle Strukturschiene. Anstatt kleine,
stabile Einheiten und ressourcen- und klimaschonende Landnutzungsformen zu fördern, gleitet auch der Ökolandbau immer mehr in die konventionellen Muster von Wachstum und Fortschritt ab. Aus ökologischer Sicht ist der Ökolandbau dem Produktionswahn mit all den Folgen der Intensivlandwirtschaft verfallen.

Konsument/-innen gehen von einem tadellosen Funktionieren einer ökologisch orientierten Landbewirtschaftung aus, weil ihnen eine heile Welt der Ökolandschaft vorgegaukelt wird. Dabei ist bis auf die Frage der Spritzmittelrückstände kaum ein Unterschied in den Qualitäten konventioneller und ökologisch erzeugter Nahrungsmittel feststellbar. Ein Unterschied - bis auf den synthetischen Chemieeinsatz - ist deshalb nicht herleitbar, da im Grunde genommen zwei annähernd gleiche Produkte und Wirtschaftsweisen verglichen werden. Bis auf wenige Ausnahmen wie etwa den biologisch-dynamischen Landbau (Demeter) stehen die sich heute dem biologischen Landbau zurechnenden Betriebe in punkto agroindustrieller Wirtschaftsideologie den konventionell wirtschaftenden nicht nach.

Dies äußert sich etwa in großen Betriebseinheiten, Massenproduktion und hohen Leistungsansprüchen, in Überdüngung und Grundwasserbelastung durchGülleüberhang, in Selbstausbeutung der Bewirtschafter, in nicht artgerechter Fütterung, Haltung und Enthornung der Tiere sowie ihrer kurzen Lebensdauer, in offenen Fragen der Tiermedizin, weiten Viehtransporten und hohem Maschineneinsatz.

Die Schweinekuh

Von wegen artgerechte Tierernährung: Alle unsere Kühe werden heute wie die Schweine gefüttert. Die Kuh hat einen Rohfaser und keinen Stärke und Eiweiß verdauenden Magen. Diese Tatsache wird auch im Biolandbau vergessen, wenn ihr in der Hauptsache Silage, zweiter und dritter eiweißreicher Aufwuchs (Grummetheu) und Kraftfutter verabreicht werden. Es wird zwar von der Heufütterung gesprochen, aber echtes und rohfaserreiches Heu des ersten Aufwuchses, zur richtigen Zeit gemäht, erhalten Kühe kaum mehr. Zudem beweiden heute die Kühe die Wiese und nicht die Weide.

Was den Bewegungsbedarf angeht, ersetzen Stallauslauf oder die Haltung im Laufstall nicht den Weidegang. Auch mit biologisch hergestellten Futtermitteln können sich unsere Nutztiere zu Tode fressen. Die Hauptursache für das Krankwerden und den Abgang der Kühe ist infolge der hohen
Futtergaben und in Ermangelung falscher Futtermittel schlicht ihre Überfressenheit und dadurch bedingt Selbstvergiftung und Kreislaufprobleme.
Auch Schafe, Ziegen und Pferde werden heute bereits wie Schweine gefüttert.

Aus dem unbegrenzten Einsatz von Futtermitteln resultieren sehr hohe Mengen organischer Dünger, obwohl der Viehbesatz pro Fläche theoretisch eingehalten wird. Aus der über Gebühr anfallenden und eingesetzten Gülle entwickelt sich arten- und kräuterarmes Grünland so weit das Auge reicht. Die Pflanzen werden mit Gülle "gemästet", damit möglichst oft und viel geerntet werden kann. Stark gemästetes Futter soll sodann gesundes Vieh und gesunde Nahrungsmittel für uns Menschen schaffen?

Bauern oder Landwirte?

Von wegen Biobauern: Ohne heimattümliche Absichten zu suggerieren sei ein Spruch des volksmündlichen Gebrauchs wiedergegeben: "Bauern brachten sich fort, Landwirte bringen sich um". Warum es heute fast keine Bauern mehr gibt, ist ein Zeichen der wirkungsvollen Agrarpropaganda von mehr Technikeinsatz und Wirtschaftlichkeit, welche die Politik über Institutionen wie Beratungsstellen oder Landwirtschaftsschulen verbreiten lässt. 1) Im Grunde genommen müssten heute übliche Biobauern demzufolge als Biolandwirte bezeichnet werden, weil sie sich um ihre Existenz bringen. Den Wert sorgsam hergestellter Lebensmittel bestimmte etwas ganz anderes, auf alle Fälle nicht die geldwertorientierte Massenproduktion und zählbare Parameter.

Das größte Manko der heutigen Zeit ist der Verlust des Hausverstandes und der Naturbeobachtung, denn wer aufmerksam wäre, hätte die Methoden der ökologischen Herstellung schon längst hinterfragt. Wir ergießen uns in Superschriften über den Biolandbau, vergessen allerdings dabei die
Überprüfung und Auswirkungen der Inhalte auf ihre praktische Bedeutsamkeit. Der Mangel an Bodenhaftung und Bio-Logik der Wissenschafter und Verbände führt zu einer Abgehobenheit ihrer Aussagen von den praktischen Ebenen, die auf die Vermutung hin, dass sie in der Praxis Bestand hätten, in Richtlinien geformt zur ökologischen Nachhaltigkeit führen sollen.

Nachhaltige Wirtschaftsweisen werden einer abstrusen Technikgläubigkeit untergeordnet und durch den erhöhten Einsatz von Agrartechnik kompensiert.
Je größer die Betriebseinheiten werden, umso eher geht das ökologisch nachhaltige Handwerks- und Erfahrungswissen wie auch der handsame Umgang mit den Nutztieren verloren und umso willfähriger werden die Landwirte, die sich Biobauern nennen. Mit der Vereinnahmung des Biolandbaus in das
konventionelle Wirtschaftssystem sind den Bauern Geschehen und Diskurs entglitten und der Dirigismus kommt von oben herab zum Durchschlag.

Missbrauch des Naturschutzes

Trotz aller Sympathie für den Biolandbau werden die derzeit bestehenden Grundvoraussetzungen des biologischen Landbaus keiner ehrlichen Auseinandersetzung unterzogen, sondern vielmehr die Konsumenten einer Propaganda mit romantischem Flair ausgeliefert. Und innerhalb der Verbände
wird die Kritik absichtsvoll übersehen. Die viel zitierte Agrarwende ist nur scheinbar in der Praxis angekommen. De facto wird sie nicht Fuß fassen können, wenn der Ökolandbau weiterhin wie die konventionelle Agrarindustrie wirtschaftet und der Realität in der Landschaft und in der Viehhaltung
lediglich das Wunschdenken einer abgehobenen Debatte gegenübersteht.

Es bleibt auch unreflektiert, dass die Agrarpolitik den Naturschutz als marktausgleichendes Steuerungsinstrument missbraucht. Ehemals ökologisch wertvolle Schutzflächen verbrachen zunehmend oder wachsen mit Gehölzen zu, weil sie durch den Käseglocken-Naturschutz regelrecht "kaputtgeschützt" wurden. Das genutzte Land indes wird scheinbar "ökologisch", aber intensiv
bewirtschaftet. Dass Trinkwasserbrunnen in diesen intensiv genutzten Landschaften geschlossen werden und Brauchwasser aus weiter Entfernung herantransportiert werden muss, bezeugt diese Verfehlungen.

Im Kompromiss werden Ökologie und die Ökobewegung ökonomisiert und zur "nachhaltigen" Perfektionierung des Wirtschaftsystems missbraucht, denn Öko ist in und wird unter Mithilfe der Sozialökologie zum Konzept erhoben. 2) Innovationen werden zur Wirtschaftsbelebung verwendet, wodurch noch mehr Wachstum und Fortschritt und eine noch effizientere Ausbeutung vorhandener
Ressourcen bewirkt werden - getragen von einem obskuren Bild von Ökologie.

Anstatt die Situationen prüfend zu hinterfragen, werden die hier vorgetragenen Beobachtungen wieder schön geredet werden und die Landschaft und die Nutztiere verharren weiterhin in Daseinsformen, die mit Ökologie nichts zu tun haben.

1) Sigmar Groeneveld: Agrarberatung und Agrarkultur, Kassel 1996
2) Joachim Radkau: Natur und Macht, München 2002

Der Autor, Jahrgang 1963, lebt als Bauer und Wanderforscher in einem
Kärntner Bergdorf und beschäftigt sich mit alten Landnutzungsweisen,
Landschafts- und Nutzpflanzenkunde. Erstabdruck des Artikels in: Politische
Ökologie 110, München 2008.

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